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Musik aus Schrott

Musik aus Schrott

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Einführung

Eine Multimedia-Reportage über das Musikalische in unserem Schrott und Müll

Von Marie Stapel und Sara Minoris
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„Pling.“ Nichts erwarten wir an diesem sonnig-heißen Tag sehnlicher, als das Geräusch eines kleinen, metallischen Gegenstandes auf einer harten Plastikoberfläche. Mit einem Besenstiel und Einmalhandschuhen bewaffnet, stehen wir in einer schwarzen Mülltonne eines Dortmunder Mehrfamilienhauses und stochern uns durch den Restmüll. Wir suchen nach einem goldenen Ring, der vermutlich versehentlich in ebenjener Tonne gelandet ist. Dabei wühlen wir uns durch in Plastiktüten verpackte, nach Urin stinkende Windeln, braun verfleckte T-Shirts, schimmliges Brot und eine undefinierbare, schlammige Konsistenz am Boden der Tonne. Wir schieben die übelriechende Masse von rechts nach links und suchen die frei gewordenen Stellen Stück für Stück ab. „Klirr, Kratsch, Krach“, „Ratsch, Plisch, Peng“ - statt des erlösenden „Pling“ hören wir nur dumpfe Geräusche von zerbrechenden Tassen und Tellern, die jemand samt einer offenen roten Plastikkiste dort entsorgt hat. Inspiriert von diesen vielen verschiedenen Klängen in der Mülltonne, vergessen wir unsere aussichtslose Suche nach dem Ring und stellen uns als Musikjournalistinnen die Frage: „Wie musikalisch ist eigentlich unser Müll?”
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Station 1: Der Schrottplatz

Die Suche nach dem Musikalischen in unserem Müll führt uns zuerst auf einen Schrottplatz im Dortmunder Norden. Dort lassen wir uns von der Mitarbeiterin Melisa über den Platz führen und erfahren dabei, wie unser Schrott eigentlich klingt. Zwischen Baggern und verrostetem Stahl überlegen wir, welche Musikinstrumente sich aus Schrott bauen lassen könnten.
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Station 2: Musikinstrumente aus recycelten Gegenständen

Vor uns schwarze Vorhänge. Ausgeschaltete Scheinwerfer. Unser Ziel: der Wasserspender auf der Bühne.
Eilig folgen wir einem Mann in kurzer Hose und grauem T-Shirt, vorbei an Stühlen mit leicht kratzigem Bezug und über einen roten Teppich. Hin und wieder hallt das Herunterknallen einer schweren Metallkiste durch die alte Fabrikhalle und übertönt das Klirren von Glas und vereinzelte Melodiefetzen. Obwohl das Publikum noch gar nicht da ist, herrscht schon geschäftiges Treiben.
„Das ist unser Schlagzeug, das aus üblicher Schlagzeug-hardware besteht, aber mit einer Wasserspenderflasche“, erklärt uns Andreas Lubert von der Bühne herab. Er ist der Bandleader von GlasBlasSing, einer Band, die Musik nur auf Flaschen macht. An einem Sommertag treffen wir die Musiker beim Soundcheck in der Warsteiner Music Hall im Dortmunder Stadtteil Hörde und möchten uns von ihnen zeigen lassen, wie man aus Müll erfolgreich Instrumente herstellt.
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Andreas „Endie“ Lubert

... ist der Bandleader von GlasBlasSing. Er dreht und ratscht an der Cokecaster und Doppelhalsgitarre.

Frank Wegner

... spielt mit dem Bass aus einem Wasserspender tiefe, schwingende Töne, die mit Blasflaschen allein nur schwer zu erzeugen sind.

Jan „Fritze“ Lubert

... ist gefühlt überall gleichzeitig auf der Bühne unterwegs und ploppt und bläst alle möglichen Flaschen.

David „Möhre“ Möhring

... sorgt mit dem Wasserspender-Schlagzeug für den Grundbeat der Band.

Die Bandmitglieder

 Der Name spricht für sich: alle Mitglieder von GlasBlasSing verstehen sich aufs Singen und aufs Musizieren mit Flaschen. Jeder der Musiker konzentriert sich dabei jedoch auf einen eigenen Aspekt der Pfandklangwelt.

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GlasBlasSing setzen ihrer eigenen Kreativität nur eine Grenze: die Flasche. Egal ob klein, groß, aus weißem, braunem oder grünem Glas oder auch aus Plastik, Hauptsache Flaschen und eine zündende Idee, welches Instrument man daraus bauen könnte. Zum Repertoire der Band zählen neben selbstgeschriebenen Liedern und gecoverten Klassikern aus Pop und Rock auch einfachere klassische Stücke. Schon bei der Anfertigung eines Instruments achten sie darauf, später einen bestimmten Musikstil nachahmen zu können. Ohne die entsprechende Technik lassen sich damit aber keine Konzerthallen füllen, weshalb die Band live auf der Bühne sogenannte Loops anfertigt - aufgenommene Melodiesequenzen, die beliebig wiederholt werden können. Dabei kommt auch dem Technikteam im Hintergrund eine große Rolle zu, denn sie versehen diese mit zusätzlichen Effekten und reizen damit das Klangspektrum aus. Geschummelt wird hier aber keineswegs, denn der originale Klang der Instrumente wird dadurch nicht verfremdet.

Die Programme von GlasBlasSing sind humoristisch angelegt - das legen auch schon die Instrumentennamen schon nahe: Flachmanninoff, Jelzin-Orgel oder die Perrier-Keule. Humor steht in jedem ihrer Programme im Mittelpunkt und äußert sich z. B. in witzigen Songtexten. Auch wenn in diesem Zusammenhang Nachhaltigkeit eher eine untergeordnete Rolle spielt, steckt es dennoch im Konzept der Band, Alltagsgegenstände neu zu erfinden und sie aus anderen Blickwinkeln zu betrachten. Unter dieser Lebenseinstellung erscheinen Flaschen nicht nur als einfacher Verpackungsmüll, sondern als qualitativ gute Musikinstrumente.
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„Die Herausforderung war ja, so ein Schlagzeug möglichst authentisch mit Flaschen nachzubilden, und das ist dann eigentlich auf dem Wege hier ganz gut gelungen, finde ich.“ -- David „Möhre“ Möhring

Hergestellt wurde es aus Flaschen, vom Klang her ist es dennoch ein ganz normales Schlagzeug. Was dieses Instrument ausmacht, funktioniert eben prinzipiell auch mit einem Wasserspender, Plastikflaschen, etwas Schlagzeughardware und technischer Verstärkung. Die Fußmaschine, die auf den Wasserspender schlägt, ist zum Beispiel nicht aus Flaschen gemacht und wird zudem durch einen Tonabnehmer und ein Kondensatormikrofon für die tiefen Töne unterstützt. Im Vergleich zu der eines normalen Schlagzeugs stellt sie auch eine große Herausforderung dar, denn statt einer kleinen Kette ist ein Bowdenzug eingebaut, weswegen so richtig schnelles Spielen mit ihr nicht möglich ist. Die mit Reis gefüllte Flasche ergibt schließlich den klassischen Sound einer Snare. Ein wichtiger Unterschied ist auch, dass das Flaschenschlagzeug im Vergleich zu einem konventionellen im Stehen gespielt wird.
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„Wir hatten zu der Zeit sowas wie einen kleinen Wettbewerb fast laufen, und Frank hat da einfach die beste Lösung gefunden, die auch am flaschenmäßigsten war...“
-- Andreas „Endie“ Lubert

Der sogenannte „Spender-Jazz-Bass“ ist eine Erfindung des Bass-Gitarristen Frank Wegner und besteht aus einer Wasserspenderflasche mit etwa 20 bis 25 Liter Fassungs-vermögen. Von ihm aus erstreckt sich ein Bügel aus Holz und Metall, in dem eine Saite vom Boden des Spenders bis nach oben gespannt ist. Diese schwingt wie bei einem normalen Bass.
Gespielt wird mit einer kleinen Schnapsflasche, die an die Saite gehalten wird und so die Bünde erzeugt. Dadurch entstehen unterschiedliche Tonhöhen im Umfang von nicht ganz einer Oktave. Andreas Lubert möchte auf der Bühne nicht mehr auf den Bass verzichten, da ein tiefer, schwingender Ton, der eben nicht nur mit tief gestimmten Flaschen erzeugt wird, für die Band von grundlegender Bedeutung ist.
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Es steckt schon im Namen: hier wird auf einer leeren Cola-Flasche Musik gemacht! Vom Deckel bis zum Boden spannt sich ein Draht, der durch das Drehen des Deckels unterschiedliche Tonhöhen hervorbringt. Mit der Flasche als Resonanzraum und elektronischer Verstärkung ergibt sich tatsächlich ein typischer E-Gitarren-Klang.
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„Da kann man natürlich jetzt nicht
irgendwelche Hendrix-Songs drauf
spielen...“ -- Andreas „Endie“ Lubert

Die Doppelhalsgitarre (deren Name
noch nicht endgültig feststeht),
besteht aus zwei Flaschen, die mit
einem Draht auf einer länglichen
Holzlatte fixiert sind. Die Band erzeugt
damit Töne, indem sie mit einer dritten
Flasche über die Drahtseile fährt.
Die beiden festgeschnallten Flaschen
dienen als Resonanzkörper, für einen
vollen Gitarrenklang wird das Instrument
verstärkt. Gestimmt wird es über zwei
Stimmschrauben, die mit dem Draht an
einem Ende der Holzlatte verbunden sind.
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„Möhre ist unheimlich schnell darin. Also er
kann da Sachen, die kann ich mir nicht vorstellen.“

-- Andreas „Endie“ Lubert

Der Flachmanninoff ist nichts anderes als ein Xylophon, das aus mehreren, mit einer unterschiedlichen Menge an Wasser gefüllten Jägermeisterflaschen besteht. Um Melodien von Mozart bis Bizet zum Klingen zu bringen, werden die kleinen Flaschen mit Schlägeln geklöppelt. Bandmitglied Möhre beeindruckt bei den Konzerten das Publikum mit seiner Schnelligkeit und ermöglicht mit diesem Instrument auch die Aufführung von filigranen klassischen Musikstücken.
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„Das war tatsächlich so eine Sache in einer Kneipe, das neue Bier kommt und einer macht halt, was viele machen.“
-- Andreas „Endie“ Lubert

Was als lustige Idee für ein Kennenlernspiel unter Musikern begann, in dem man über seinen eigenen Tellerrand schauen sollte, endete in einem feuchtfröhlichen Abend in einer Kneipe und letztlich im Karrierebeginn für GlasBlasSing. Als eine neue Runde Bier serviert wurde, steckte eines der Mitglieder einen Finger in die Flasche und ließ ihn zurückschnellen. Aus dem dazugehörigen „Plopp-Geräusch“ entschied die Band kurzerhand, das aus dem Jahr 1972 bekannte Synthie-Stück „Popcorn“ zu machen. Mit der Zeit begannen sie, gezielt nach weiteren Möglichkeiten zu suchen, auf den Flaschen Musik zu machen und ihr Tonspektrum stetig zu erweitern. Spezielle Daumen brauche man zum Spielen der Plopp-Flaschen zwar nicht, sagt Andreas Lubert, aber dafür ein starkes Gespür fürs Team...
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„Man muss nach einer Weile zusammen so eine Art Groove oder ein Gefühl dafür entwickeln, dass man sich zurechtfindet, obwohl man die ganze Zeit irgendein Morsealphabet spielt,
das in sich keinen Sinn macht.“ -- Andreas „Endie“ Lubert

Gerade bei den Blasflaschen sei man nur gemeinsam das Instrument, wie der Bandleader uns erklärt. Das erfordere vor einem Konzert ausgiebige gemeinsame Proben. Da die einzelnen Töne einer Melodie und der Begleitung eines Stücks zwischen den einzelnen Musikern verteilt werde, müsse man „ab einem bestimmen Punkt zusammen hören und organisch spielen“. Im Vergleich zum Musizieren auf normalen Instrumenten könne der Einzelne seine Tonfolge vom Ausdruck her nicht selbst gestalten. Dies geschieht dann vor allem im gemeinsamen Spiel.
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Diese Kiste sieht so aus, als wäre sie für einen Gang zum Altglascontainer gemacht - die Band kann dem Inhalt jedoch noch Klänge entlocken. Flaschen zum Beispiel zum Drauf-hauen, zum Ritschen und zum Hin-und-Her-Schwenken bilden ein buntes Sammelsurium, das flexibel beim Auftritt einge-setzt werden kann.



Wer mehr von GlasBlasSing hören möchte, kann auf ihrer Website nachschauen. Unter anderem gibt es dort im Downloadbereich Vorlagen, um zuhause selbst Flaschenmusik
machen zu können.
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Station 3: Scrap 4 Beethoven

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Das Kunst-Musik-Medienprojekt „Scrap 4 Beethoven“ (dt. „Schrott für Beethoven“) geht im Beethovenjahr 2020 neue Wege und zeigt, dass klassische Musik auf Schrott durchaus möglich ist. Unter der Leitung des Düsseldorfer Singer-Songwriters Freeze 4U (alias Björn Frahm) interpretieren Jugendliche die Hauptmelodie von Beethovens 9. Sinfonie auf und mit Schrott. Die Uraufführung fand am 30. Januar 2020 im Casino der Zeche Zollverein in Essen statt.
Am Anfang stand jedoch auch bei diesem Projekt die Suche nach den schrottig-schönsten Klängen auf einem der größten Schrottplätze in Europa: der Schrottinsel in Duisburg.
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Zuerst sind es nur vereinzelte Geräusche. Das Ratschen eines Wellblechs, das wie Zähneknirschen klingt, folgt auf einen glockenhellen Ausruf. Die gerade noch annähernd als harmonisch empfundene Klangfolge baut sich zu Krach auf. Kurze, knackige Trompetentöne brennen sich in das Chaos – schön, aber zu schnell wieder vorbei. Zum dumpfen Dröhnen der Stangen und Röhren setzt jetzt live der Chor ein. Beethovens „Ode an die Freude“, gesungen vom Jugendchor der Clara-Schumann-Musikschule Düsseldorf. Wir befinden uns in der Performance des multimedialen Projekts „Scrap 4 Beethoven“, das vom Düsseldorfer Künstler Freeze 4U initiiert wurde. Erst durch die Bilder von Containern, Ölfässern und fahrenden Baggern auf der Leinwand im hinteren Teil der Bühne erklären sich all diese zusammengewürfelten, verrückten Geräusche.
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Im Mittelpunkt des Abends steht die musikalische Leistung der Jugendlichen. Die Chormitglieder mussten sich genauso wie der Trompeter Emil Sabelberg zunächst an die unkonventionelle Schrottbegleitung gewöhnen. Der fünfzehnjährige Musiker, der beim Konzert mit dem wiederholten Spiel der Hauptmelodie eine Schlüsselrolle erfüllt, meistert jedoch jeden Einsatz sicher. Eine große Herausforderung war für ihn nicht nur die ungewöhnlich schroff klingende Begleitung, sondern auch seine Trompete, die von den Projektbeteiligten sogar auf dem Schrottplatz gefunden wurde.
Auf der Leinwand bewegt jetzt ein Bagger Unmengen an klirrendem Metall. Wenn wir die Augen schließen und dem Spektakel lauschen, wird klar: Diese aus Schrottgeräuschen bestehende Musik ist etwas, das unser Ohr nicht richtig fassen kann. So wird nicht nur der Schrott zu Instrumenten recycelt, sondern auch unseren Hörgewohnheiten etwas Neues, Herausforderndes präsentiert.
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Einen kleinen auditiven Eindruck in das Projekt vermittelt die unten angezeigte Audiodatei. Bei der Aufnahme wurden ausschließlich Originalaufnahmen verwendet und mit elektronischen Sounds vermischt.

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Freeze 4U alias Björn Frahm ist der Initiator des Projektes  „Scrap 4 Beethoven“ und ein Düsseldorfer Singer-Songwriter, der sich in vielen Musikrichtungen zu Hause fühlt. Gemeinsam mit dem ABA-Fachverband realisiert er seit einigen Jahren viele musikpädagogische Projekte von Integration über LGBT bis hin zur Inklusion. Im Gespräch hat er uns unter anderem erklärt, warum er bei dem Projekt unbedingt die Hauptmelodie von Beethovens 9. mit Schrott aufführen wollte. (Das komplette Interview könnt ihr hier nachlesen.)

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Von der Beethoven Jubiläums GmbH gefördert, identifiziert sich „Scrap 4 Beethoven“ vor allem mit einem der Leit-themen des Beethovenjahres: Beethoven als Visionär. Genauso wie viele Werke des Komponisten damals musikalisch visionär waren, soll das Projekt heute visionär für die Zukunft der Klassik sein. Aber wie sehen das die Teilnehmer*innen und Besucher*innen? Was braucht Klassik, um ein jüngeres Publikum in die Konzertsäle zu locken? Über diese Frage und das Projekt haben wir nach der Aufführung mit Beteiligten gesprochen.
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Station 4: Christoph Sietzen - Klangwerkskunst

Christoph Sietzen ist ein österreichischer Perkussionist, der schwerpunktmäßig auf dem Marimbaphon musiziert. Häufig aber erweitert er seinen klassischen Blickwinkel auch. Zuletzt baute und spielte er für das Konzert für Klangwerk und Orchester von Georg Friedrich Haas eine sogenannte „Klangwand“ - ein Instrument, das er ganz aus Schrott hergestellt hat.

(Das gesamte Porträt über Christoph Sietzen könnt ihr hier nachlesen.)
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Am 29.11.2019 kommt in der Philharmonie Luxembourg unter der Leitung von Ilan Volkov ein Auftragswerk des zeitgenössischen Komponisten Georg Friedrich Haas zur Uraufführung: das „Konzert für Klangwerk und Orchester“. Geschrieben ist es für den jungen Schlagwerker Christoph Sietzen, der auf metallischen Gegenständen vom Schrottplatz musizieren soll. Hinter der Komposition steckt aber nicht nur Kritik des Komponisten an teuren Instrumenten, sondern auch die Ideologie, dass alles zu Kunst werden kann, wenn wir es dazu machen.
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Sommer 2020. Die Beschränkungen des öffentlichen Lebens sind in Deutschland gerade gelockert, in Österreich verschärft sich die Corona-Lage bereits wieder. Wir treffen uns mit Christoph Sietzen zum Interview per Video-Chat, mit allen Herausforderungen, die dazu gehören: nicht mehr zu reinigenden Webcams, verwackelten Bildern und Verbindungsschwierigkeiten.
Von ihm wollen wir wissen, wie es eigentlich für ihn
als Interpreten war, aus Schrott Musik zu machen.
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„Es hat ja auch etwas Magisches, auf so ein Stück Holz drauf zu hauen, das mit einem Schlägel zu berühren und dann kommt da so ein toller Ton raus“, erzählt uns Sietzen über seine Begeisterung fürs Schlagwerk. Doch schon längst ist seine Leidenschaft nicht nur für das Spiel auf der Marimba groß. In verschiedenen Projekten brachte er zum Beispiel Fliesen zum Klingen oder eben auch Schrott, wie im Konzert für Klangwerk und Orchester von Georg Friedrich Haas. 300 Kilo Schrott hat er dafür vom Schrottplatz mit nach Hause genommen, wovon er dann etwa zehn Prozent zu einem Musikinstrument, der „Klangwand“, verbaut hat. Dabei war die Sortierung der Töne nach Grundtönen schon eine erste Herausforderung, denn Schrott an sich hat ein sehr obertonreiches Klangspektrum. Ein Merkmal, das Sietzen gleichermaßen fasziniert und herausfordert.

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Doch nicht nur die Sortierung der verschiedenen Klänge stellten den Interpreten vor große Probleme. Auch die Anordnung der „Klangwand“ zusammen mit dem konventionellen Schlagwerk, dem sogenannten Setup, forderte seinen Innovationsgeist heraus. Dadurch, dass der Komponist in der Partitur dazu keinerlei Vorgaben macht, musste sich Sietzen den idealen Aufbau selbst überlegen. Ergebnis war eine schneckenförmige Aufstellung in Kombination mit einem Spiegel, die ein Erreichen aller Instrumente in kurzer Zeit gewährleistete und den Blick auf den Dirigenten ermöglichte.
Zusätzlich brauchte es eine gute Vorbereitung des Interpreten, da im Stück häufig sehr ungerade Rhythmen vorkommen. Und dann war da ja auch noch das Zusammenspiel mit dem Orchester…

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Nach der Uraufführung des Klangwerkonzerts präsentierte Christoph Sietzen das Potential der Klangwand in einer Zugabe. Dazu suchte er sich einen existierenden Dreiklang auf der Klangwand und setzte ihn bewusst mit mikrotonalen Klängen in Kontrast.

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Station 5: Cateura - Orchester

Wir wissen nun, dass es im Schrott eine riesige tonale Vielfalt zu entdecken gibt. Doch wie ist es, wenn man nicht nur auf den Schrottplatz geht, um sich dort auf die Suche nach verborgenen Klängen zu machen, sondern wenn man wortwörtlich auf Schrott lebt? Wenn dieser sogar die einzige Chance ist, zur Musik und in ein anderes Leben zu gelangen?
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... ist der Name einer Mülldeponie außerhalb der paraguyanischen Hauptstadt Asunción. Viele der Leute, die im verarmten Viertel rund um die Deponie leben, arbeiten dort als Müllsammler bzw. Recycler. Sie sammeln einen Teil des Asuncióner Mülls auf Pferdekarren und bringen ihn nach Cateura. Ihren Lebensunterhalt können sie dadurch kaum bestreiten, weshalb sie darauf angewiesen sind, selbst auf der Deponie nach etwas Essbarem oder etwas, das sie noch illegal verkaufen können, zu suchen.
Die Kinder und Jugendlichen des Ortes haben wenig Chancen auf einen Ausweg aus dieser tristen Zukunftsperspektive. Musikunterricht kann sich dort niemand leisten.
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Bis 2006 der Ingenieur und Gitarrist Favio Chávez begann, Kindern und Jugendlichen aus Cateura Musik beizubringen. Zuerst reichten die Instrumente aus seinem Besitz aus, um alle seine Schüler zu versorgen, aber als sich mehr und mehr Kinder für die Musikkurse anmeldeten, brauchte es neue Ideen. Chávez versuchte, aus der Not eine Tugend zu machen und fing an, Instrumente aus dem herzustellen, was auf der Deponie reichlich zu finden ist. So entstanden aus Fässern und Tonnen, Rohren und Knöpfen, Gabeln und alten Bürsten Violinen, Celli, Trompeten und Co.
Mit der Zeit gründete Chávez aus seiner Musikschule das Projekt „Orquesta de Instrumentos Reciclados de Cateura“ (Orchester der recycelten Instrumente aus Cateura) und ließ seine Schüler gemeinsam musizieren. Ab 2012 wurde das Orchester dann immer bekannter. Es folgten internationale Auftritte und Tourneen, es gab Instrumentspenden an die Musikschule in Cateura und 2015 erschien der Film "Landfillharmonic", der einige Mitglieder des Orchesters und ihren Leiter porträtiert.
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Heute ist das Orchester der recycelten Instrumente größer geworden. Einige Eltern haben einen Verein zur Unterstützung der Musikschule gegründet und ehemalige Orchestermitglieder spielen inzwischen sogar in professionellen Orchestern mit.

Im Video ist eine Aufnahme der Hauptmelodie „Ode an die Freude“ aus Beethovens 9. Sinfonie vom Orchester der recycelten Instrumente aus dem Jahr 2014 zu sehen. Obwohl die jungen Musiker und Musikerinnen auf Instrumenten spielen, die vorwiegend aus Schrott bestehen, entsteht beim Spielen ein einzigartiger Klang, der wenig mit dem Geräusch aufeinander-krachenden Schrotts zu tun hat.
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Im Vergleich dazu hier eine Aufnahme vom Sydney Symphony Orchestra.  Natürlich klingen diese ganz anders und für das klassisch geschulte Ohr wahrscheinlich angenehmer als die des Cateura-Orchesters. Dennoch schaffen es die jungen Musiker und Musikerinnen mit ihren recycelten Instrumenten erstaunlich nah an das Original heran.
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Chávez selbst sieht in seinem Projekt keine Talentschmiede für große internationale Orchester. Die wenigsten Jugendlichen aus Cateura schafften es, professionelle Musiker zu werden. Vielmehr gehe es darum, den Heranwachsenden durch das gemeinsame Musizieren andere Werte zu vermitteln als die, die in den Armenvierteln vorherrschen. Außerdem möchte er ihnen über das gemeinsame Musizieren im Orchester zeigen, dass Gewalt und Dominanz keine guten Vorbilder sind.

Zuletzt geriet Chávez jedoch zunehmend in die Kritik. Ehemalige Orchestermitglieder werfen dem Leiter vor, Spenden, die für das Projekt gedacht waren, unterschlagen zu haben.
Nichtsdestotrotz gilt das Orchester der recycelten Instrumente in Cateura als ein Vorbild für viele ähnliche Projekte in anderen Ländern.
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Mehr als nur Krach

Den verlorenen Ring haben wir in der Mülltonne leider nicht mehr gefunden, aber dafür jede Menge aufregender Klänge. In unserem Abfall, egal ob Schrott oder Müll, steckt mehr musikalisches Potential, als wir im ersten Moment vielleicht denken mögen. Die Künstler und Projekte, die sich mit Schrott beschäftigen, machen das Unmögliche möglich und gehen sogar noch weit darüber hinaus. Sie setzen sich mit der fremden Tonsprache auseinander, lösen Diskussionen aus und nutzen Schrott als Mittel zur Musikvermittlung. Marie Stapel mit letzten Gedanken zum Projekt.
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„Beethoven war ein sehr aufbrausender Mensch. Also ich glaube, (lachend) entweder hätte er es gefeiert oder sich die Haare gerauft! Ich möchte mir aber auch kein Urteil anmaßen, weil er wirklich ein absolutes Genie war.“
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„Das Werk (...) steht für sich. Es hat die Klassik, die Moderne und sogar, sagen wir mal die Moderne unserer Zeit im Bezug auf Recycling und Umwelt so kompakt dargestellt, dass es durch die Bank alles miteinander verbunden hat. Und das ist eigentlich ziemlich schön zu sehen.“ 
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„Den passenden Ton zu finden und den Klang auch wirklich so zu treffen, dass er vollmundig ist.“
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„Ehrlich gesagt, super!“

Das Publikum im Casino der Zeche Zollverein in Essen war begeistert von dem Projekt.

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Fazit: Publikumsfrage

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Weiterführende Links

Vollbild
Wer noch nicht genug vom Klang des Schrotts bekommen hat, kann sich unter folgenden Links noch weiter informieren:
  1. terzwerk-Sendung vom 13. August 2019 mit Sara Minoris und Marie Stapel
  2. Website von GlasBlasSing, insbesondere den Download-Bereich
  3. Rezension vom 02. Februar 2020 zur Uraufführug von "Scrap 4 Beethoven", "Beethovens Schrottige"
  4. Scrap 4 Beethoven Radio House Edit
  5. "Zu viel ist zu viel" Interview mit Georg Friedrich Haas zum Konzert für Klangwerk und Orchester, Blog der Philharmonie Luxembourg
  6. heute journal: Christoph Sietzen - vom Schrottplatz auf die Konzertbühne, Bericht vom 7. Dezember 2019
  7. Landfill Harmonic, Filmporträt über das Orchester der recycelten Instrumente Cateura
  8. Porträt der Achtjährigen Celeste, Mitglied des Orchesters der recycelten Instrumente veröffentlicht bei info.arte.tv
  9. Paraguay - Musik aus Müll von Nathalie Georges, Eric Bergeron, Thomas Lecourt und Pascal Bach – ARTE GEIE – Frankreich 2015
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